Neulich tat ich mir selbst richtig leid. Ich stolperte bei milden Spätsommertemperaturen über die Wiese und wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte: Mein rechtes Bein schmerzte von den Verbrennungen und ich konnte kaum laufen, die Nächte führen gerade auch nicht zur Heilung, sind sie doch eher eine lose Aneinanderreihung von Schlafeinheiten ob Leanders anhaltender Trinkwütigkeit, und dann ist mir auf unserer Baustelle noch ein Stück Staub ins Auge geflogen, was dazu führte, dass ich über zwei Tage hinweg mein Auge nur mit Sonnenbrille schmerzlos öffnen konnte. Darüber hinaus brauchte ich für meinen Elterngeldantrag noch einige Dokumente (ja, die Geburt ist bereits mehr als vier Monate her). Anträge dieser Art überfordern mich emotional, allen voran wenn sie ausgefüllte Formulare anderer Institutionen bedürfen (“Passierschein A38”) und ebenso verloren bin ich bei körperlicher Versehrtheit. Vielleicht sind es sogar die beiden Dinge, die mir am meisten zu schaffen machen, denn sie schränken meine Selbstbestimmung ein. Während der Antrag mich in jeder nächtlichen Trinkpause beschäftigt, raubt mir die Tatsache weder richtig laufen noch sehen zu können tagsüber die Nerven.
Why does it always rain on me? Ob Fran Healy, Sänger der Band Travis, jedes Mal, wenn er den Song singt, eigentlich über sich selbst lachen muss oder immer wieder tief in dieses Gefühl des Wehleids einsinkt? Erstaunlicherweise hat es dieser Song, den wohl jede:r von uns kennt, die Ende der Neunzigerjahre auf dem Kassettenrekorder Mixtapes für gebrochene Herzen aufnahm, nur auf Platz 56 der deutschen Singlecharts geschafft und hielt sich dort gerade mal neun Wochen. Diese Zahlen entsprechen bei weitem nicht der gefühlten, popkulturellen Omnipräsenz dieses melodramatischen Ohrwurms. Bei Spotify wurde der Song schon über 96 Millionen Mal gehört. Vielleicht fühlen sich heute mehr Menschen von dieser Hymne des Selbstmitleids angesprochen als zu seinem Erscheinen im Jahr 1999. Selbstmitleid ist vielleicht die häufigste Form der Selbsttäuschung, um Menschen davon abzuhalten, sich realen Herausforderungen zu stellen. Wie unwirklich es für mich ist, heute schon an diesem Punkt meiner erträumt Zukunft zu stehen, darüber habe ich vor ein paar Wochen geschrieben. Entstanden irgendwo zwischen einem flüchtigen Nebeneffekt des Lebens und dem großen Schicksal, kam es in genau dem Moment, als ich es am wenigsten erwartete.
Aus dem alten Flur, einem Durchgangszimmer und der alten Küche wird in den nächsten Wochen eine Wohnküche, mit richtigen Wänden, einer veränderten Decke und neuem Boden mit Fußbodenheizung - aus dem Sommerhaus wird ein solides Haus, für unseren Alltag. Die Küche wird auf Wochen unbenutzbar sein, der alte Fliesenboden heraus gestemmt, dreißig Zentimeter Erdreich ausgehoben und mit Beton aufgefüllt, die Fußbodenheizung verlegt und mit Estrich übergoßen bis dann endlich gefliest wird. Ironisch betont und doch sehr ernst gemeint, haben wir uns beim Frühstück darauf verständigt, einander in den nächsten Wochen mehr Raum für emotionale Entgleisungen, Nervenzusammenbrüche oder Trotzigkeiten aller Art zu geben.
Wenn Ungutes sich häuft, erwartet uns eine Schwelle zu etwas neuem. Der Mut den wir brauchen um die Schwelle zu überschreiten, ist verbunden mit einem Wachstumsschmerz, der uns als letzte Prüfung dient, ob wir bereit sind den nächsten Schritt auch tatsächlich zu gehen, herauszufinden ob es eine Schleife ist, in die wir uns selbst immer wieder hineinbringen oder ein Wink des Schicksals. So übe ich mich in Reflexion: Gibt es etwas, was ich hätte tun können, um die Situationen, die mich jetzt einschränken, zu vermeiden? Jein. Verletzungen sind mit viel Vorsicht wohl streng genommen immer zu vermeiden, aber ist zu viel Vorsicht wirklich eine attraktive Alternative? Ich denke nicht. Definitiv sind sie aber ein Indikator dafür, dass zu viel los ist und das eigene Handeln fahrlässig wird. So gibt es einen Teil in mir, der sich gerade nichts mehr wünscht, als einen schnöden Alltag, in dem wir uns auskennen, der wohlig seine Gewöhnlichkeit um uns legt und auf uns aufpasst. Aber da sind wir noch nicht.
Alltag bedeutet auch Anzukommen. Ankommen in einem Leben, das ich für mich immer gesehen habe, nur zu einem späteren Zeitpunkt. Ich denke, das ist meine Prüfung - es geschehen zu lassen, mich zu trauen, das Glück jetzt anzunehmen.
Haben wir nicht alle Angst, dass das Glück flüchtig ist und uns bald wieder entgleitet?
Im eigenen Traum zu leben bedeutet zunächst keinen Traum mehr zu haben. Vielleicht ist das der Grund, warum so viele von uns (inklusive mir), sich davor fürchten? Lieber noch eine Schleife drehen, die eigene Lebenssituation, Beziehung oder den Job doch nicht verändern, denn so lange es den Traum von etwas Anderem gibt, haben wir etwas, an das wir uns klammern können. Gehen wir den Schritt und leben den Traum - was bleibt dann?
Was bleibt, ist pure Realität und ein Ankommen verbunden mit einem Gefühl von Verlust, dem Verlust von Träumen, Erwartungen und früheren Selbstbildern.
Wie schrecklich!
Wie schön!
So ein ehrlicher toller Text, Thekla!!
Ich wünsche dir weiterhin gute Besserung und dass du noch etwas Sonne und Kraft tanken kannst 🧡