Wenn wir klein sind, toben wir im Meer, bis die Lippen blau sind. Die Erwachsenen sitzen am Strand, lesen, träumen, schlafen. Wie langweilig, murmelte ich früher, wartete auf die nächste Welle oder tauchte nach selbstgeworfenen Steinen. Das Wasser verließ ich erst, wenn meine Eltern mich raustrugen, obwohl ich zitternd protestierte mir ist nicht kalt.
Jahrzehnte später erwische ich mich selbst dabei, wie ich oft denke: Ach, irgendwie doch ziemlich kalt das Wasser heute, was besonders ärgerlich ist, gehöre ich doch zu den Menschen, die das ganze Jahr auf den Sommer warten, der entgegen aller romantischen Erinnerungen an vergangene Schulferien, nicht allein aus heißen Freibad-Tagen besteht. Und so beschließe ich diesen Sommer, mich von Temperaturen unter 20 Grad (sowohl Wasser als auch Luft) nicht abhalten zu lassen und stattdessen einfach ins Wasser zu gehen und auf den Moment zu warten, in dem es sich warm, oder sagen wir zumindest, weniger kalt anfühlt. Wie kommt es, dass wir, wenn wir älter werden, dem Spaß am Toben im Wasser nicht mehr intuitiv nachjagen, sondern uns selbst motivieren müssen?
Seit ich auf der Welt bin, verbringen wir jeden Sommer auf der Insel Hiddensee. Hier habe ich erst die Perspektive eines Kindes, dann die einer junger Frau und nun seit zehn Jahren die einer Mutter eingenommen. Letzteres führt dazu, dass ich nun selbst die Figur bin, die ich vorher von der Wiese, dem Strand oder eben aus dem Wasser heraus genauestens beobachtet und studiert hatte: Was tun meine Eltern und warum tun sie es oder eben nicht?
Mein Vater schwamm stets weit raus, meine Mutter hingegen blieb am Strand. Beides fand ich unglaublich unlustig. Mein Vater schenkte uns wenigstens einige Minuten lang die Hoffnung, er würde im Wasser mit uns Toben, aber wenn er von seinen ausgedehnten Schwimmrunden, sein Kopf war dann meist nur stecknadelgroß am Horizont zu sehen, zurückkam, stapfte er durchs kühle Nass an uns vorbei, direkt ans Ufer. Dort trocknete er stehend in der Sonne, die Handflächen rückwärtig in die Hüfte gestemmt (eine häufig zu beobachtende, sehr erwachsene aber irre komische Pose), um sich dann wieder der Lektüre seines Buches zu widmen. Wir blieben allein im Wasser zurück, vertieften uns wieder in unser Spiel, bis irgendwann der Ruf kam: Kinder, kommt raus, eure Lippen sind schon ganz blau!
Müssen Eltern mit ihren Kindern im Wasser toben? Mit Sicherheit nicht. Ist es Me-time, die Eltern endlich für sich haben, während die Kinder fröhlich feixen? Mit Sicherheit. Dürfen sie diese genießen? JA! Aber ist es nicht auch ein Spaß, den wir selbstverschuldet verpassen?
Ich wollte es diesen Sommer versuchen: So oft wie möglich Baden, auch wenn es kalt ist, auf das Fahrrad zu springen, den Bademantel im Fahrradkorb und ab ins Meer. Kann es ein Gefühl geben, das mehr Freiheit ruft? Ich glaube nicht.
Und doch ziehen wir viele andere Dinge vor. Warum eigentlich?
Ich habe mir dafür ein paar Tricks zurechtgelegt: So nehme ich mir vor, bei jedem Bad mindestens 100 Schwimmzüge zu machen. Ins Meer gehen, einmal untertauchen und losschwimmen. Das unbeirrte Mitzählen lässt mich die Kälte vergessen und hilft mir das damit einhergehende Verhandeln loszulassen. Ausserdem habe ich eine kleine Sammlung von Wasserbällen besorgt und einen großen, bunten Schwimmring zum Durchtauchen, Balancieren und auf den Wellen Treiben.
Und schon nach wenigen Wochen merke ich einen Unterschied: Ich schwimme leichter und stärker, auch wenn der Wind hohe Wellen über das Meer peitscht. Mein Körper kommt trotz Stillen und zwei Schwangerschaften zunehmend in Einklang mit meinem Geist. Nicht, dass ich die ganze Zeit entspannt wäre (wie lange man wohl Schwimmen muss, um diesen Zustand zu erreichen?), aber ich bemerke früher, wenn ich meine Ausgeglichenheit zu verlieren drohe und kann dann mit Schwimmen, einem langen Spaziergang oder einfach Zeit mit den Kindern draußen im Garten, gegensteuern. Spaziergehen als Lösung gegen innere Unruhe schien mir in meinem Stadtleben lange undenkbar, viel zu sehr haben mich die Reize der Autos, des Lärms und der vielen Menschen herausgefordert, so dass ich meist erschöpfter wieder Zuhause einkehrte, als ich losgegangen war (mehr dazu in meinem Text über Hochsensibilität hier).
Auch Toni kommt in Bewegung: Noch in Rostock machte sie ihre ersten Schritte auf dem kieseligen Spielplatz und im Flur unserer Wohnung. Zaghaft tastete sie sich ran, aber gab nach wenigen Schritten wieder auf. Nicht untypisch für sie oder andere Kinder mit Down-Syndrom, ihre Muskeln sind schwächer entwickelt und die Reflexe verzögert. Lange war es so, dass wenn ein Spielzeug zu weit weg lag, Toni gar nicht erst versucht hat es zu erreichen, ein schmaler Grat zwischen Genügsamkeit und Bequemlichkeit. In den wenigen Wochen hier auf der Insel hat sie es nun aber gemeistert: Sie läuft und läuft oder wie mein Onkel sagt, wie ein Ninja-Turtle auf Mission. Ninja-Turtle auch deshalb, weil wir ihr am Strand stets eine Schwimmweste anziehen, denn mit dem Selbstbewusstsein durch das Laufen kam auch der Mut ungebremst ins Wasser zu stürmen. Der Einstieg ins Meer hier ist durchaus flach, etwas worüber Erwachsene auch gerne klagen, es zieht sich meterweit, bis das Wasser endlich tiefer wird, ideale Bedingungen aber für Kleinkinder. Und so schmeißt Toni sich jetzt ins Wasser, furchtlos, selbstvergessen. Eben so, wie ich es früher auch war.
Und noch etwas kommt in Bewegung: Die mit unserem Umzug verbundene Aufgabe, aus einem Sommerhaus in Leichtbauweise ein winterfestes Haus zu machen, in dem wir das ganze Jahr leben können. Bei den Fenstern haben wir schon die geliebten Einfach-verglasten Holzfenster durch dichte Dreifach-Verglasung getauscht (nicht ohne zu trauen, denn im besagten Lockdown hatten wir die Holzfenster noch eigenhändig erneuert, indem wir den alten Lack abgebrannt, die Rahmen abgeschliffen und lackiert sowie die Fensterscheiben wieder eingesetzt und mit Kit umrandet haben). Der letzte Schritt sollte eigentlich nur die Dämmung einen Teils des Dachbodens sein, um einen kleinen Arbeitsraum zu schaffen. Dabei stellte sich allerdings heraus, wie das mit Baustellen meist so ist, dass die eingezogene Decke in einem schlechten Zustand ist, ebenso ein Teil der Wand. Der Besuch eines Freundes führte uns noch weiter: Wenn wir nun ohnehin schon Wände und Böden rausnehmen, wäre es dann nicht sinnvoll, von Gas auf Wärmepumpe zu wechseln? Wann, wenn nicht jetzt?
So ist das Haus jetzt zu großen Teilen aufgerissen und wir rechnen, planen, grübeln und treffen Entscheidungen wie zum Beispiel, welche Fliesen auf die neuen Böden kommen.
Die nächsten Wochen werden eine riesige Baustelle, ich werde mit den Kindern vorübergehend in einen benachbarten Bungalow ziehen und hoffen, dass meine neuen Tricks mich gut durch diese wilde Zeit bringen.
Wie ist es bei dir? Wasserratte, Kurz-Bader:in oder Strandgenießer:in?
Liebe Thekla,
Mein Ziel für diesen Sommer war mehr und so oft möglich Schwimmen zu gehen.
Ich war eine Wasserratte! Und bin definitiv eine verspielte Schwimmerin. Und mein Traum wäre unseren Teich in ein Öko Schwimmbecken umzubauen 🙈ich hab das auf You tube gesehen und würde wirklich gerne alles an einem Ort haben und dann täglich sehr "bunt" schwimmen 😅