Macht Müttern Mut!
Gelassenheit abverlangt wurde mir als frischgebackene Zweifachmutter auch, als es ums Stillen ging. Darum, ob man ein Baby mit Down-Syndrom stillen kann, ranken nämlich viele Mythen...
Fotocredit: Sabine Lewandowski für #LassMalWirSein
Heute ist der 21.03.2024, Welt-Down-Syndrom-Tag. Heute vor exakt zwei Jahren haben wir erfahren, dass unsere Tochter Toni mit dem Down-Syndrom zur Welt kommen wird. Wie unser Leben mit Toni und ihrem Down-Syndrom aussehen wird, darüber können wir auch heute noch keine Aussage machen. Eigentlich, wie bei jedem anderen Kind. Nur, dass es viel kritischer bewertet wird, vermutlich, weil das Bewusstsein für das Spektrum, auf dem wir Menschen uns alle befinden, erst so langsam gesellschaftlich heranreift. In jüngsten Zeiten helfen Diagnosen wie ADHS vielen Erwachsenen, ihr Leben von Kindheit an zu verstehen und anzunehmen - zum ersten Mal scheint es, als dürften wir aus dem linearen Leistungskarussell aussteigen und sagen: Es ist so, wie es ist. Ich bin so, wie ich bin. Ich beschäftige mich viel damit, wie wir den Mut aufbringen können, Dinge anzunehmen, gelassener zu sein, unser Leben etwas laid back anzugehen (dazu wird es mit Sicherheit noch einige Texte hier geben).
Gelassenheit abverlangt wurde mir als frischgebackene Zweifachmutter auch, als es ums Stillen ging, etwas das vielen jungen Müttern begegnet. Darum, ob man ein Baby mit Down-Syndrom stillen kann, ranken nämlich viele Mythen. Das ist einerseits gut, wird doch das Stillen von Babys im allgemeinen oft als natürlich gegebener No-Brainer dargestellt, und so besteht wenigstens in dieser Konstellation mal Anerkennung dafür, dass Stillen für Mama und Baby arbeitsam sein kann, schöne Arbeit, aber eben Arbeit.
Dass eine Stillbeziehung etwas ist, was Mama und Baby mitunter erst aufbauen müssen.
Toni konnte, vollgepumpt mit Geburtshormononen, direkt nach der Entbindung, so winzig wie sie war, hervorragend aus meiner Brust trinken. In der zweiten Nacht ließen die Hormone und damit auch ihre Kraft nach, ich konnte förmlich zusehen, wie sie immer kleiner wurde und nicht mehr trank. Mit ihrem genügsamen Naturell schrie sie nicht, sondern sank einfach in sich zusammen und schlief weiter. Es war herzzerreißend! Wir waren für einige Tage im Krankenhaus geblieben und so konnte ich nachts eine der Schwestern rufen, denn die Angst, dass sie verdursten könnte, ließ mich schlaflos neben ihr liegen. Die Schwester beruhigte mich, versuchte es mit Pre-Milch, die Toni jedoch ablehnte und wir schliefen erstmal weiter. Am nächsten Morgen pumpte ich meine Milch ab, gab sie Toni in der Flasche und sie trank in einem Zug das ganze Fläschchen aus.
Das ist nicht untypisch, denn einher mit dem Syndrom geht auch ein schwacher Muskeltonus und Stillen ist eben wirklich harte Arbeit für Babys, was es wiederum so gut für die Muskeln und die spätere Sprachentwicklung macht. Gestärkt von dem Wissen, dass sie es schon einmal geschafft hatte, blieb ich mit einer Mischung aus meiner abgepumpten Milch im Fläschchen und Stillhütchen, die ihr das Saugen erleichterten, dran - auch wenn mir von verschiedensten Blogs mit Saugverwirrung ob der Mischung aus Flasche, Hütchen und Brust gedroht wurde.
Achtung, akute Gefahr der Saugverwirrung!
Ähnlich wie bei der Diagnose Down-Syndrom ist die Ansprache an Mütter in Medien, Institutionen und auch leider im eigenen Freundeskreis häufig defensiv. Ärzt:innen mit denen wir sprachen, erzählten uns meist vom schlimmsten Fall und es dauerte lange bis wir verstanden, dass sich niemand für falsche Hoffnungen verantworten möchte. So setzt es sich in der Mutterschaft fort: Lieber vom worst case ausgehen, der Mutter jetzt schon sagen, was alles Schlimmes passieren kann, anstatt sie zu ermutigen, auf ihre Stimme - und dafür gibt es in diesem speziellen Fall sogar einen Fachbegriff, nämlich Mutterinstinkt - zu hören. Abgefuckt!
Wie es der Poet Max Richard Lessmann so schön sagt:
via Instagram v. Max Richard Lessmann
Fotocredit: Sabine Lewandowski für #LassMalWirSein
Mut ist die erste Silbe von Mutter, das kommt sicher nicht von ungefähr. Also verdammt nochmal, macht Müttern Mut! Und Mütter, erlaubt euch, zu eurem Mut zu stehen, lasst ihn euch nicht nehmen.
Ich versuchte mir selbst Mut zuzusprechen, ich war mir sicher, Toni würde, wenn sie bereit ist, auch wieder alleine trinken. Und so kam es nach einigen Wochen auch. Wochen, in denen ich mich fühlte wie eine Figur aus Robert Rodriguez Film Planet Terror. Ich witzelte, mein Rollenname wäre Princess Milk und mit meinen riesigen milchspendenden Brüsten an der Pumpe, könnte ich problemlos auf der Flucht vor den Killern unsere Verfolger zu Boden spritzen, wie Rose McGowan mit ihrer Beinprothese.
via giphy
Das waren die guten Momente.
In den schlechten fühlte ich mich einfach wie eine Melkmaschine.
Es ist ja so, dass Mutterschaft grundsätzlich verunsichernd ist. Es gibt so viel, was wir richtig machen sollen und so viel, was wir falsch machen könnten. Daraus entsteht auch so viel Raum für Scham und ich muss ehrlich zugeben, als ich mit fünfundzwanzig meinen ersten Sohn bekam, wäre es mir noch schwerer gefallen, mehrfach Tags und Nachts beidseitig die Milchpumpe anzulegen und literweise Milch abzupumpen, in einem Körper, der weit davon entfernt ist, so auszusehen wie ich ihn am liebsten sehe und ohne Angst zu haben, unsexy zu sein. Ich erinnere mich noch, wie ich im Krankenhaus, damals noch in Hamburg, eine andere Mutter traf, bei der das Stillen nicht klappte, ihr die Schwestern die im Vergleich zum frischgeborenen Baby, riesig wirkende Milchpumpe ins Zimmer rollerten und ich so gut verstand, dass sie es nicht konnte. Ein Potpourri aus Scham, Unsicherheit, Eitelkeit und vor allem Unwissenheit - ich wollte um nichts in der Welt mit ihr tauschen, mir wäre es genauso gegangen.
Erst in den letzten Jahren, durch die viele Aufklärungsarbeit von Autor:innen und Influencer:innen habe ich verstanden, dass es nicht darum geht, sondern wie Florence Given sagen würde: Woman, gar Mothers, Don’t Owe You Pretty! - und eh gibt es nichts Schöneres als eine frisch gebackene Mama - aber ehrlich gesagt muss ich mich daran selbst immer wieder erinnern, denn das Unwohlsein kommt von ganz allein zurück, so tief ist es internalisiert.
Um Tonis schwachen Muskeltonus weiter zu stärken, bekommen wir Überweisungen zur Logopädie und Physiotherapie. Auch hier gibt es viele Vorurteile, allen voran, was denn die Logopädie für so ein kleines Baby tun könne, es würde ja noch gar nicht sprechen. Ich stelle mir diese Frage nicht, sondern freue mich über unseren Termin bei einer Logopädin um die Ecke und gehe mit Toni einfach hin. Fritzi, unsere Logopädin, massiert sanft aber bestimmt Tonis Gesicht und stimuliert ihre Mundmuskeln, so dass diese lernen, Spannung aufzubauen und um einen guten Mundschluss zu fördern.
Mal schläft Toni dabei, mal schaut sie aufmerksam zu.
Ich sitze auf dem Teppich daneben und lasse mich fallen.
Es tut so gut, eine Expertin an der Seite zu haben. Ein paar Minuten keine Verantwortung, keine Verunsicherung, einfach sein.
Heute, ein gutes Jahr später zieht sich Toni porutschend über den Küchenboden und am Sideboard hoch, greift eine rote Pflaume vom Tablett, lässt sich wieder auf den Boden fallen und beißt genüsslich Stück für Stück von ihrer Pflaume ab, bis nur noch der Kern übrig ist.
Alleine, ohne meine Hilfe.
Es hat sich gelohnt.
Danke, einfach nur Danke für diesen Text <3 Diesen Text hätte ich gerne in der Anfangszeit vom Stillen gelesen.