10 Dinge, die ich über Geburten (und das Leben) gelernt habe
Drei Geburten, zwei Städte, zehn Jahre.
Drei Geburten, zwei Städte, zehn Jahre. Bei der Geburt meines ersten Sohnes Dante, war ich fünfundzwanzig Jahre alt und lebte seit gut zwei Jahren in Hamburg. Meine besten Freundinnen in Köln hatten bereits Kinder bekommen, ich hatte also den Hauch einer Ahnung was auf mich zukommen würde, aber irgendwie auch doch keinen blassen Schimmer. Es klingt verrückt, aber es waren auch noch andere Zeiten. Instagram war vergleichsweise klein, was den Vorteil hatte, dass mir als werdende Mama noch nicht tonnenweise Content zu notwendigen und nicht notwendigen Konsumprodukten sowie (alternativen) Geburtsmethoden und Glaubenssätzen in meinen Feed gespült wurden. Ich steckte eh mittendrin in unserer Kleiderei-Grüdung und unserem ersten Geschäftsjahr, entschied mich pragmatisch für das Krankenhaus was am nächsten an unserem Zuhause war, meine Freundin und Co-Gründerin Pola schmiss eine Babyparty für mich und vierzehn Tage über Termin kam Dante nach drei Tagen Einleitung halbwegs spontan zur Welt. Ob dem Gefühl des Ausgeliefertseins, hielt ich Einleiten danach für unbedingt zu vermeiden. Schier unglaublich, wenn man mir vor ein paar Monaten gesagt hätte, dass ich mich bei Leander über die Möglichkeit des Einleitens freuen würde! Das ist auch der Grund für diesen Post. Meiner dritten Geburt gingen etwa achtundvierzig Stunden persönlicher Reifeprozess, inklusive Tränen und Total Confusion voraus - und davon möchte ich heute einiges mit dir teilen, in der Hoffnung, dass es dir hilft, dich auf eine bevorstehende Geburt vorzubereiten oder, falls es dich selbst nicht betrifft, diesen Beitrag mit jemanden zu teilen, der ein bisschen Geburts-Realtalk gebrauchen könnte.
Was willst du? Versuche rauszufinden was du willst: Rede mit vielen Menschen über Geburten, mit Freundinnen, Ärztinnen, Hebammen… Lass dich verwirren und versuche dich dann zu sortieren. Du wirst weinen und lost sein, jede wird dir ihre persönliche Erfahrung schildern, diese für die einzige Wahrheit halten und keine wird wissen, was wirklich richtig für dich ist, aber am Ende weißt DU was DU willst und was nicht. Ich zum Beispiel dachte zehn Jahre lang, dass Einleiten das Schlimmste überhaupt ist, bis mir kurz vor meiner dritten Geburt eine Hebamme erzählte, dass es durchaus gut gehen kann, bei ihr wäre es jedenfalls so gewesen. So lies ich mich, nach kurzer Bedenkzeit für mich und mit mir alleine, darauf ein und bin heute heilfroh darüber. Eine Geburt bringt ein buntes Potpourri aus Möglichkeiten mit sich und je mehr wir davon kennen, umso besser können wir uns darauf vorbereiten.
Wie und wo? Hausgeburt, Geburtshaus, kleines Krankenhaus, großes Krankenhaus mit Kinderklinik? Ich habe gehört, dass wir gebären, wie wir leben.
Wir gebären, wie wir leben.
Für mich bedeutet das vor allem: Schau, dass dein Geburtsumfeld zu dir passt. Du bist am allerliebsten zu Hause, weil du dich da am besten entspannen kannst? Fantastisch! Dann ist eine Hausgeburt vielleicht was für dich. Ich habe zu Hause immer das Gefühl, tausend Sachen zu sehen, die mich ablenken, inspirieren, motivieren, ich befürchte, ich würde gar nicht die Ruhe für mich finden. Schon in meinem Alltag abseits von Schwangerschaft und Geburt liebe ich es hin und wieder im Hotelzimmer zu sein und mich auf nichts anderes zu konzentrieren als das in dem Moment sein, weil mich dort nichts ablenkt. Der Kreissaal und ein kleines Krankenhaus kommen für mich dem Nahe, ich kann mich auf das konzentrieren was gerade ist, in dem Fall die Geburt und die ersten Tage heilendes Wochenbett mit meinem Neugeborenen. Wichtig war für mich vorab zu sehen, wie es sich an dem Ort anfühlt. So habe ich mich in der Klinik bei uns in der Nähe nicht wohlgefühlt, auch weil ich dort in der Schwangerschaft mit Toni einem empathielosen Arzt begegnet bin. So haben wir uns kurz darauf Stralsund angeschaut, eine wesentlich kleinere Klinik mit einem tollen Team aus Ärzt:innen und Hebammen, die eng zusammenarbeiten. Das hat uns überzeugt, und wir haben uns beide Male wohlgefühlt, auch weil wir schon in den Vorgesprächen sehr wertschätzend behandelt wurden.
Jede Geburt ist anders! Bei der ersten Geburt dachte ich, ich möchte dabei unbedingt Musik hören, weil ich ja eh immer und überall Musik höre. Es war allerdings unmöglich. Unter den Wehen konnte ich die Musik nicht ertragen, schon nach den ersten Takten musste sie unbedingt wieder aus. Bei meiner jetzigen, dritten Geburt hingegen schlug die Hebamme vor, Musik anzumachen, holte die Box während ich in der Wanne saß, zwischen zwei Wehen koppelte ich mein Telefon und hörte den Rest der Geburt Sufjan Stevens und es tat mir gut. Es lohnt sich also, in jede Geburt wieder offen reinzugehen, neu hinzuspüren was es braucht. Du veränderst dich, das Baby ist ein anderes, dein Körper, die Umgebung - all das darf sein.
Du kannst nicht alles kontrollieren. Eine natürliche Geburt, ohne jegliche Hilfsmittel gilt als das Nonplusultra, erleben wir doch seit einigen Jahrzehnten einen starken Einfluss der Naturalisten. Dies sollte grundsätzlich hinterfragt werden, denn es erzeugt immensen Druck und falsche Erwartungen, etwas, was bei einer Geburt, gerade einer spontanen einfach nur hinderlich ist. Bei meiner zweiten Geburt trug es sich, dem überraschenden Einsetzen der Wehen weit vor dem Termin geschuldet, so zu: Mangels Zeit und Ausstattung fand die gesamte Eröffnungsphase im Rettungswagen statt, mit nichts außer einem grünen Handtuch, das ich in der Hektik der Abfahrt gerade noch gegriffen hatte. Kaum in der Klinik angekommen, war es wenige Minuten später auch schon geschafft. Mit dieser Erfahrung ging ich optimistisch in meine dritte Geburt, hechelte wie ein junger Hund, dehnte und streckte mich in den Wehenpausen, war ganz bei mir und trotzdem zog irgendwann ein Schmerz in mein Steißbein, der mich wahnsinnig machte. Ich spürte ihn kommen, ich kannte ihn schon von der ersten Geburt und kam nicht dagegen an. Ein Glück gibt es Lachgas, PDA und kluge, geduldige Hebammen und Ärztinnen, die mir helfen konnten.
Vertrauen! Ich habe die Hebamme angefleht mich in den Kaiserschnitt zu lassen, stattdessen sollte ich meine Beine überschlagen und den Schmerz durchlassen - Haha! Aber ich tat es und tatsächlich, es wurde besser. Es war immer noch scheiße schwer aber wir haben es geschafft. Verrückt, aber Geburt bedeutet auch, die Kontrolle abzugeben und zu vertrauen.
Hör auf dein Bauchgefühl. Mutterinstinkt ist auch ein Begriff des Naturalismus, der einer Überhöhung anmuten kann und deshalb vorsichtig zu verwenden ist, auf was wir aber definitiv zählen können ist unser Bauchgefühl. So wusste ich nicht was es war, aber seit einigen Wochen war ich mir sicher, nicht weit über den errechneten Termin gehen zu können, am besten gar nicht. Warum, das konnte ich mir auch nicht erklären, war ich doch in der vorherigen Schwangerschaft mit nahendem Geburtstermin entspannt und zuversichtlich gewesen. Was war dieses Mal anders? Erst am zweiten Tag im Krankenhaus, als wir die leichten Geburtsanzeichen schon fast als Fehlalarm akzeptieren wollten, stellte sich heraus, dass mein Thrombozyten-Wert (wichtig für die Blutgerinnung) eindeutig sank und wir damit die Geburt zehn Tage vor Termin einleiten sollten. Mein Bauchgefühl hatte mich nicht getäuscht.
With or without you. Überlege dir, wann und wie dein/e Partner:in dabei ist. Disclaimer: Er muss nicht dabei sein. Es kann durchaus entlasten, dass er da ist, gerade bei der ersten Geburt, deine Hand hält, dich ablenkt und du einfach jemanden zum sprechen, drücken, halten hast. Es kann aber auch entlastend sein, ganz bei dir zu sein, keine Ablenkung zu haben oder dich gar freier machen, wenn er nicht dabei ist. Es gibt auch die Möglichkeit, eine Freundin oder deine Mutter mitzunehmen, wenn du dich dann sicherer fühlst. Du kannst deine Begleitperson auch bitten, unter der Geburt an einem bestimmten Punkt zu gehen - vielleicht mit einem vereinbarten Codewort. Alles ist möglich! Es gibt kein richtig und kein falsch. Bei meiner zweiten Geburt durfte mein Mann nicht mit in den Rettungswagen (Coronaregeln) und kam so erst kurz nach der Entbindung im Krankenhaus an, bei der dritten Geburt, war er mit Toni in unserem Familienzimmer. Als ich dachte, Leander würde jederzeit da sein, schrieb ich ihm, er könnte mit Toni kommen wenn sie wach ist. Dann nahm die Geburt aber leider eine schmerzhafte Wendung, ich hielt die Wehen kaum noch aus und auf einmal wollte ich lieber alleine sein mit der Hebamme und der Ärztin. Auch das ist okay.
Tasche packen. Das Schlimmste an jeder Reise ist für mich das Kofferpacken. Sich bereit zu machen für das Ungewisse. Sich für eine Geburt bereit zu machen ist noch absurder - denn wer weiß schon, was gebraucht wird? Es lohnt sich trotzdem, die Tasche rechtzeitig zu packen. Ein langes Kleid, Strickjacke (auch wenn’s warm ist, kühlt dein Körper vielleicht aus) Socken, eine ausführliche Liste, was ich alles dabei hatte reiche ich an dieser Stelle nach, ebenso wie ein paar Tipps in Sachen Nachhaltigkeit bezüglich Still-BH, Stilleinlagen usw. PS: Es geht auch ohne Tasche, wie oben erwähnt wurden wir bei Tonis Geburt völlig überrascht und hatten nichts dabei als ein grünes Handtuch.
Hinterher sind alle schlauer. Tonis Geburt erwischte uns dreieinhalb Wochen vor dem errechneten Termin, mitten in unseren Flitterwochen auf Hiddensee, was, so sagen mittlerweile einige, ja wohl klar war, da Babys mit Down-Syndrom immer früher kommen. Vor der Geburt hatten wir von dieser scheinbar total klaren Kleinigkeit, trotz unserer vielen Fachgespräche nichts gehört, aber hinterher ist man immer schlauer und ob’s wirklich stimmt sei auch mal dahingestellt. Will heißen, egal wie du dich entscheidest, danach wird immer ein kluger Rat auf dich warten, von jemanden der es schon immer besser wusste. In solchen Momenten muss ich dann an einen Satz denken, der seit Kindheitstagen in unserem Ferienhaus an der Wand hängt: Do wat Du wullt de Lüüd snackt doch. Als Kind dachte ich, das würde bedeuten: Tu was du willst, die Leute schlafen noch - ein Satz den ich unfassbar romantisch fand. Doch auf Plattdeutsch heißt es übersetzt: Tu, was du willst, die Leute reden doch, was etwas weniger romantisch anklingt, aber irgendwie trotzdem befreiend ist.
Die Sache mit dem Stillen. Dass Stillen oft als No-Brainer dargestellt wird, ist so gefährlich wie unwahr. Ich habe zwei Kinder, die problemlos aus meiner Brust trinken konnten und eines, bei dem hat es länger gedauert. Auch habe ich viele Freundinnen, die sich mit verschiedensten Methoden ausgerüstet (Flasche, Pumpe, Spritze, Stillhütchen) auf den teilweise mühsamen Weg einer intimen Stillbeziehung gemacht haben - wohlgemerkt auch hier jede mit ihren eigenen guten wie schlechten Erfahrungen.
Mehr zum Thema Stillen und den damit verbundenen Herausforderungen habe ich in diesem Text geschrieben:
Am Ende möchte ich dir noch zwei Dinge raten: Versuche bei dir und deinem Bauchgefühl zu bleiben, nimm erst dich selbst und dann auch dein Baby in die Arme und alles wird gut. Und sorge für ein ausgiebiges Wochenbett (ein paar Tage reichen nicht!), in dem du liegst, liegst, liegst und heilst. Ob dein Partner:in, Familie oder Freunde, bitte sie um Hilfe. Ich habe oft gehört, dass sich Frauen mehr Unterstützung im Wochenbett aus dem Umfeld gewünscht hätten, Freund:innen oder Familie sich aber nicht proaktiv einbringen. Das liegt oft auch daran, dass sie nicht wissen wie. Bitte sie, dir Essen vorbei zubringen, mit den Geschwistern spazieren zu gehen und ein paar Besorgungen zu machen oder auch einfach den Geschirrspüler auszuräumen, wenn sie da sind. Alles Aufgaben, die du im Wochenbett nicht erledigen solltest, denn für dich ist das einzige was zählt: Ruhe und Kuschelzeit (und wenn dir jemand was anderes erklären will, dann sag danke, ciao). <3
❤️schön geschrieben. Danke für diese sehr persönlichen Einblicke ☺️