Vom Mutter- und Vorbild-Sein.
Die wichtigste Zutat für ein Leben mit Job und Kindern: Vertrauen
Kürzlich, es war an einem Montagmorgen gegen 10 Uhr, erlitt ich einen kurzen Schock, der mich völlig unvermittelt traf. Da dies hier meine Geschichten sind und nicht die der Kinder möchte ich nicht ins Detail gehen, nur so viel: Ich konnte die Situation nicht sofort einordnen, war verunsichert und stehe nun wieder vor der Frage: Was für eine Mutter möchte ich sein?
Bisher diente mir die französische Super-Maman als Vorbild. Weniger aus persönlichen Erfahrungen, mehr noch sind es Menschen der Popkultur, allen voran Jane Birkin mit ihren Töchtern Charlotte Gainsbourg, Lou Doillon und Kate Barry, die aus drei verschiedenen Beziehungen stammen, sowie die weingeschwängerten Abende der ganzen Familie am Tisch im Film Die Träumer und das Bild der Französin, die ganz laissez-faire Kinder und Karriere verbindet, die mich geprägt haben.
Alles kann, nichts muss!
Laissez-faire bedeutet so viel wie machen lassen, als Erziehungsstil daran zu erkennen, dass die Eltern eine neutrale Rolle einnehmen und sich eher zurückhalten. Kinder spielen eine Rolle in der Familie, aber eben nicht die Hauptrolle. Sie sind ständig dabei und fügen sich ein, ohne dass sich alles um sie drehen muss. Insgesamt gibt es einen gesunden Abstand zwischen den Lebensrealitäten: Eltern sind Erwachsene, die Kinder eben Kinder.
Diese Art der Erziehung ermöglicht natürlich auch mehr Freiheit für die Eltern selbst, was sich auch darin zeigt, das laut OECD-Studie in Frankreich fast 60 Prozent der Mütter in Vollzeit, in Deutschland hingegen knapp 40 Prozent arbeiten, was weit unter dem europäischen Durchschnitt liegt.
Laissez-faire bedeutet für mich, meine Kinder überall mit hinzunehmen, ihnen gleichzeitig aber auch viele Freiräume zu geben und mir diese auch zu nehmen. Sie nicht jedes Gespräch mit Freund:innen unterbrechen zu lassen, aber trotzdem zu beobachten, ob es ihnen auch gut geht. Ich empfinde Muttersein als iterativen Prozess, der jeden Tag neu gestaltet wird, Schritt für Schritt - Tag für Tag. Wir alle kennen den Moment, in dem wir gestresst unsere Kinder schimpfen, weil sie zu langsam sind, wenn wir es eilig haben. In solchen Momenten finde ich mich selbst furchtbar und so habe ich mir über mühsames Training angewöhnt, nicht mehr in solche Situationen zu kommen. Ich vermeide sie, in dem ich immer Pufferzeiten einplane und wenn dies nicht klappt, bete ich mir gebetsmühlenartig vor, dass die wenigen Sekunden, die wir jetzt sparen würden, keinen Unterschied machen und ich bisweilen bereue, wenn ich jetzt Druck ausübe.
Ich gefalle mir besser als gelassene, geduldige Mutter.
Ich gefalle mir besser als gelassene, geduldige Mutter und unterm Strich habe ich auch das Gefühl, dass es nachhaltiger ist, weil sich der Stress nicht überträgt, dadurch weniger Fehler passieren und folglich alles schneller geht. Eine Ableitung für mich lautet daher auf jeden Fall: Stress ist zu vermeiden!
Nun kommen mit dem Alltag aber natürlich noch ganz andere Situationen auf uns zu als schnöde Differenzen im Zeitempfinden von Kindern und ihren Eltern.
Unvergessen ist für alle, die Gilmore Girls genauso gebinged haben wie ich, die Funkstille, mit der Mutter Lorelai am Ende der fünften Staffel auf den Bootsdiebstahl (so dramatisch war es bei uns jetzt nicht) von Tochter Rory reagiert. Diese ist deshalb so außergewöhnlich, weil die beiden vorher ein Team sind, Partner-in-Crime, beste Freund:innen, sie teilen (fast) alles, auf jeden Fall viel Pizza.
Aber wie immer im Leben geht es um Grenzen und nach einigem hin und her setzt Lorelai eine, die für beide nur schwer zu ertragen ist.
Wie viel Laissez-Faire hält das Muttersein aus? Wie nahe müssen wir eigentlich dran sein an unseren Kindern? Die Situation, in der ich mich kürzlich wiederfand, hätte verhindert werden können, wenn ich direkter dran wäre, stärker überwachen, mehr kontrollieren würde. Aber dies widerstrebt mir, auch weil ich mir für mich und mein eigenes Leben Gelassenheit, Raum zur Entfaltung und Freiheit wünsche.
Dasselbe möchte ich deshalb auch meinen Kindern ermöglichen.
In meinem Umfeld sehe ich viele junge Eltern, die wesentlich enger an ihren Kindern dran sind, kleinste Zeichen auswerten, deuten, und jede Möglichkeit zweimal umdrehen. Weniger Laissez-Faire, mehr Helikoptern.
Die französische Philosophin Élisabeth Badinter stellte fest, dass lange Zeit kein gesellschaftliches Bild der guten Mutter und damit auch weniger Druck vorherrschte, sich dies in den letzten Dekaden durch den schleichenden Einfluss der Naturalisten aber auch in Frankreich verändere. Die Naturalisten haben in westlichen Ländern seit den 1970er Jahren mehr und mehr an Einfluss gewonnen, vor allem bei uns in Deutschland. Das dramatische daran ist die vertretene Überzeugung, eine gute Mutter orientiere sich an der Natur und opfere sich für ihre Kinder auf: Dazu gehört eine Geburt ohne Schmerzmittel, lange Stillzeiten und maximale elterliche Aufmerksamkeit (von Zigaretten und Wein beim Abendessen ganz zu schweigen).
Für junge, wilde Kinder auf dem Weg zur Selbstständigkeit gibt es eigentlich eine Regel auf dem Klettergerüst: Sie sollen alleine klettern, denn sie können selbst am besten entscheiden, ob sie sicheren Stand haben und wie weit sie gehen können, ihre Grenzen austesten und Vorsicht lernen. Auf den Spielplätzen in den Städten in denen ich gelebt habe, stehen die Eltern allerdings meist mit auf den Hängebrücken oder Balancierbalken (oder mindestens direkt daneben). So sind Spielplätze zu unangenehmen Orten verkommen, an denen Kinder nicht mehr Kinder treffen, sondern von Erwachsenen die Rutschen herunter begleitet werden.
Auch auf einen anderen wichtigen Bereich unseres Lebens nimmt dies Einfluss, nämlich die bereits erwähnte Vereinbarkeit von Kindern und Karriere. Die Grundlage dafür ist meiner Meinung nach, neben guter Planung und Resilienzfähigkeit (darüber habe ich hier geschrieben) auch Vertrauen. Wie in jeder anderen Beziehung auch, gibt es die Wahl zwischen Vertrauen und Kontrolle. Während Kontrolle mindestens Energie und im Zweifel auch das Vertrauen kostet, bedarf es für Vertrauen viel Übung: Vertrauen in andere Bezugspersonen, Vertrauen in die eigenen Kinder, Vertrauen in das eigene Bauchgefühl. Das muss trainiert werden. Ohne geht es nicht.
Vertrauen muss trainiert werden. Ohne geht es nicht.
Der Schock von Lorelai sitzt deshalb so tief, weil das von ihr geschenkte Vertrauen von Rory ausgenutzt wird, wobei ausgenutzt stark nach aktiver Entscheidung klingt, wir erinnern uns ja alle an unsere Teenie-Jahre und es war viel mehr der Zug hin zu anderen Dingen, wie eben Abenteuer, Liebe oder Gruppendynamik, der uns zu unseren Handlungen motiviert hat, anstatt das bewusste Ausnutzen des Vertrauens der eigenen Eltern. Für uns, heute auf der anderen Seite, als Eltern, wird es sich aber vermutlich so anfühlen.
Die Lösung kann dann nur sein, wieder einen Schritt zurückzugehen und sich zu sagen, dass auch diese Grenzüberschreitung mehr mit dem Kind zu tun hat als mit uns - wie das meistens so ist im Leben und in Beziehungen mit anderen Menschen. Eine Herausforderung! Es ist nicht persönlich zu nehmen. Im Vertrauen bleiben.
Ich denke, nur aus vertrauenden Eltern können auch gute Vorbilder für die Kinder werden.
Und so komme ich zu dem Schluss, dass ich beim Laissez-faire bleiben möchte - auch wenn dies vielleicht noch öfter bedeutet, an einem Montagmorgen nicht genau zu wissen, was jetzt eigentlich passiert ist. In diesem Fall war es nämlich gar nichts - aber ich wusste es eben nicht und Nichtwissen gleicht im ersten Moment immer einem Kontrollverlust (HILFE!!!). Diesen dennoch zuzulassen und sich einer, nach Bauchgefühl regulierter Balance von Nähe und Laissez-Faire, hinzugeben ist die aktuelle Vision meines Mutterseins.
Mit der Gefahr, dass das eigene Vertrauen auch mal enttäuscht wird, in dem Glauben daran, dass dies nie in böswilliger Absicht, sondern lediglich in (vor-)jugendlichem Leichtsinn oder vielleicht auch gar nicht geschieht.