Mein erster Birgitte Nyborg-Moment
Wir haben es geschafft! Es heißt jetzt Landesrat für Frauen, Inter, Nichtbinäre, Trans und Agender-Personen (FINTA*)
Am Abend, bevor ich meine Tochter Toni zur Welt brachte, begannen Robin und ich eine neue Serie: BORGEN. Eine dänische Politserie, inszeniert wie ein Schachspiel um Macht, Prinzipien und Kompromisse. Im Zentrum steht Birgitte Nyborg – eine integre, kluge und beeindruckende Politikerin, die Premierministerin von Dänemark wird. Nicht durch eine klare Mehrheit, sondern durch kluge, zähe Koalitionsverhandlungen.
Die Serie fesselte uns sofort. Vieles darin kam uns bekannt vor, aus Sitzungen, Debatten, Gesprächen in Hinterzimmern. Doch in dieser Nacht kamen wir nicht weit: Kurz nach Mitternacht setzten die Wehen ein und wir wurden Eltern von Toni. Wochen später kehrten wir zurück zur Serie. Denn die Fragen, die sie stellt, beschäftigen auch uns:
Wie funktioniert Macht in einer Demokratie?
Wie entsteht ein tragfähiger Kompromiss?
Und wie bleibt man sich selbst treu, wenn von allen Seiten an einem gezerrt wird?
Kurz nach Tonis zweitem Geburtstag wurde mir das Amt der frauenpolitischen Sprecherin der Grünen MV angeboten. Mit dieser Anfrage kam sofort eine grundlegende Frage auf: Warum heißt es eigentlich noch frauenpolitische Sprecherin? Ein Begriff, der auch INTA*-Personen einbezieht, wäre für mich passender gewesen. Ich stellte fest, dass der Zugang zum Landesfrauenrat nach wie vor auf Personen beschränkt ist, die sich als Frau identifizieren. Können wir das nicht ändern?, fragte ich meine Vorgängerin Cindy. Sie erzählte mir von langjährigen, teils schmerzhaften Debatten rund um dieses Thema – nicht nur innerhalb der Partei.
Und nicht nur unter Frauen.
Ich beschloss, es trotz allem zu versuchen und Cindys Arbeit fortzuführen. Unterstützung fand ich in der (Landesarbeitsgemeinschaft) LAG Queer, berief meinen ersten Landesfrauenrat ein und stellte die Idee zur Diskussion. Inzwischen drängte die Zeit etwas, denn eine solche Änderung braucht einen Parteitagsbeschluss und der Parteitag rückte näher.
Alle anwesenden Frauen waren offen dafür, den Rat für alle FINTA*-Personen zu öffnen.
Die überraschende Erkenntnis: Die anwesenden Frauen waren dafür, den Rat für alle FINTA*-Personen zu öffnen. Und sie gingen noch weiter – sie schlugen selbst vor, auch den Namen zu ändern. Die Öffnung war mein Vorschlag, der neue Name kam aus dem Rat selbst. Ich war gerührt, überwältigt, euphorisch. Mir waren Widerstände prophezeit worden. Doch ich traf auf viele Frauen, die dachten wie ich:
Der Rat wird nicht schwächer, wenn wir ihn öffnen – er wird stärker.
Wir waren uns einig:
Queerfeminismus schließt niemanden aus. Im Gegenteil – er schließt alle mit ein, die von patriarchaler Unterdrückung betroffen sind.
Ich arbeitete den Antrag aus, stimmte ihn mit erfahrenen Parteimitgliedern und der LAG Queer ab und legte ihn dem Rat zur finalen Abstimmung vor.
Das Ergebnis: einstimmig.
Parallel arbeitete ich an meinem ersten Roman und ließ den veröffentlichen Antrag vorerst liegen – um ihn wirken zu lassen, um Luft zu holen. Drei Tage vor dem Ende der Frist las ich die Kommentare unter dem Antrag und war erschüttert (ohne diese hier zu wiederholen, denn dieser Ort soll ein Schutzraum sein).
Ich sammelte mich, atmete tief durch (mein erster Birgitte Nyborg-Moment) und verfasste eine sachliche, ruhige Antwort. Ich ignorierte den Tonfall und konzentrierte mich auf die Argumente.
Doch auch auf einer Mitgliederkonferenz am nächsten Abend wurde klar: Der meiste Widerstand richtete sich gegen den neuen Namen. Ich schrieb Parteifreund:innen, wir diskutierten in Kurznachrichten mögliche Kompromisse und zehn Minuten vor Ablauf der Frist reichte ich einen Änderungsantrag ein.
Dann hieß es: Abwarten.
Würde noch mehr kommen? Oder warteten alle auf die Live-Debatte?
Es blieb ruhig. Einzelne Kommentare, Hinweise, Tipps. Der Parteitag kam näher – und mit ihm unsere Anspannung. Ich war emotional. Ich wollte, dass dieser Antrag durchkommt. Wir brauchten eine Zweidrittelmehrheit.
Ich schrieb meine Rede, fragte Klara aus unserem Rat, ob sie eine Pro-Rede halten würde und bat das Präsidium, verletzende Äußerungen sofort zu unterbinden.
Denn für mich ging es um mehr als einen Antrag.
Es ging um Haltung.
Robin und die Kinder waren als emotionale Unterstützung dabei. Ich spürte Zustimmung im Raum – aber nicht nur. Ich schaute mich um, konnte aber nicht abschätzen, ob es reichen würde.
So blieb ich konzentriert, machte Smalltalk, hielt schließlich meine Rede und brachte den Änderungsantrag ein. Vor etwa 100 Delegierten erklärte ich, dass dieser Kompromissvorschlag das Ergebnis vieler Debatten sei und dass er den Weg öffnet für gelebten intersektionalen Feminismus. Ich bat um Unterstützung für die einstimmige Entscheidung des Landesfrauenrats.
Es kamen Gegenreden. Und – wie befürchtet – ein Antrag, die Entscheidung zu vertagen.
Das hätte das Aus bedeutet.
Diese zermürbende Debatte läuft seit Jahren, nicht nur hier in MV. Die letzten Wochen hatten es erneut gezeigt: Es musste jetzt eine demokratische Entscheidung geben. Stimmt eine Zweidrittelmehrheit zu, beginnt ein Wandel. Wenn nicht, bleibt alles, wie es ist.
Viele meldeten sich zu Wort, um gegen die Vertagung zu sprechen.
Unsere Landesvorsitzende Katha fand am Ende die richtigen Worte:
„Es wird Zeit, dass wir diese Entscheidung treffen.“
Der Parteitag folgte ihr. Es wurde abgestimmt. Endlich.
Und es reichte. Wir bekamen die Zweidrittelmehrheit.
Ich riss die Arme in die Luft, sprang auf, umarmte alle, die mitgekämpft hatten oder die ich in der Menge fand.
Ein großer Moment.
Mit einem tragfähigen Kompromiss, mit politischer Entschlossenheit und mit dem Glauben an Demokratie, Zusammenhalt und Wandel. Wir haben zugehört, debattiert, mitgedacht. Und am Ende gemeinsam unser Ziel erreicht. Auf den Schultern all der FINTA*, die vor uns und neben uns kämpfen.
Der Rat heißt jetzt:
Landesrat für Frauen, Inter-, Nichtbinäre, Trans und Agender-Personen (FINTA*)
Und mein Amt: FINTA*-politische Sprecherin.
Meine persönliche Überzeugung bleibt: Solange wir den Menschen und uns selbst nicht in all unserer Vielfalt annehmen, werden wir auch nie in der Lage sein, das Leben und unseren Planeten wirklich zu respektieren.
Nur wenn wir die Liebe in uns und unseren Mitmenschen erkennen und leben,
können wir ein wahrhaft nachhaltiges Leben führen.
Dafür werde ich weiter kämpfen. Und jetzt gerade freue ich mich über diesen Meilenstein. <3