Isn't it ironic?
Wie die CDU über Identitätspolitik urteilte und sie jetzt selbst ins Zentrum rückt
Nach einem Wahlkampf voller Fremdscham geht das Schauspiel weiter: Es erzeugt Sprachlosigkeit, lässt uns ratlos und wütend zurück. Vorsichtig fragt man sich: Ist das wirklich ernst gemeint? Jüngst hat Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, neben diesem Amt auch Mitglied des Deutschen Bundestages für die CDU, entschieden, dass die Regenbogenflagge dieses Jahr beim Berliner Christopher Street Day (CSD) am 26. Juli nicht auf dem Bundestag gehisst wird, anders als bisher üblich. Sie erlaubt das Hissen nur noch am 17. Mai, dem Internationalen Tag gegen Homophobie. Kanzler Friedrich Merz unterstützte diese Entscheidung in der ARD‑Talkshow Maischberger und sagte:
„Der Bundestag ist ja nun kein Zirkuszelt, auf dem beliebig Fahnen gehisst werden können.”
Kannst du dir nicht ausdenken.
Er betonte, am Parlament würden nur die deutsche und EU‑Flagge gehisst, und bezeichnete die neue Praxis als richtig. Die Grünen (Katharina Dröge, Britta Haßelmann) und die Linke (Heidi Reichinnek, Maik Brückner) kritisierten die Aussage als respektlos und herabwürdigend gegenüber queeren Menschen. Maik Brückner konterte konkret
„Dafür haben wir einen Clown als Kanzler.“ 🤡
Friedrich Merz hat sich in der Vergangenheit oft gegen sogenannte Identitätspolitik ausgesprochen. Er bezog sich damit meist auf Themen wie Gendergerechtigkeit, queere Sichtbarkeit, sprachliche Inklusion – alles aus seiner Sicht Nebenkriegsschauplätze. In Talkshows, Interviews und auf X hat er das häufig als Ablenkung von den echten Problemen wie Wirtschaft und Sicherheit dargestellt:
Identitätspolitische Debatten stoßen bei den meisten auf Ablehnung. Und zwar zu Recht, denn Politik muss konkrete Probleme lösen, anstatt den Moralapostel zu spielen. Wir als CDU packen die Herausforderungen mit lebensbejahendem Enthusiasmus an.
twitterte Merz am 20.03.2023
Jetzt, wo er Kanzler ist und die CDU mit Julia Klöckner als Bundestagspräsidentin eine Schlüsselrolle einnimmt, ist ausgerechnet das Verbot der Regenbogenflagge das erste sichtbar durchgekämpfte Symbolthema ihrer Regierung. Ein kulturpolitisches Signal. Und zwar nicht zum Thema Haushalt, Energie oder Außenpolitik – sondern zur Einschränkung queerer Sichtbarkeit.
Ein Widerspruch, fast schon politisch grotesk. Diejenigen, die Identitätspolitik als übertrieben kritisieren, machen nun selbst Politik mit Identität – indem sie queere Identität gezielt unsichtbar machen. Was sieht Merz, wenn er in den Spiegel sieht? Glaubt er sich selbst? Wendehals, war sein Spitzname im Wahlkampf. Genügt das noch oder ist das schon ein Euphemismus?
Erst kritisieren sie Identitätspolitik als übertrieben, dann machen sie selbst Politik mit Identität – indem sie queere Identität gezielt unsichtbar machen.
In einer Zeit, in der rechte Stimmen laut werden, entscheidet sich eine konservative Regierung nicht für ein Zeichen der Solidarität, sondern für eines der Distanz. Und nennt das dann Ordnung, Neutralität, Würde des Hauses. Als ob es die nicht auch wäre, wenn Vielfalt weht. Stattdessen entscheiden sie sich für eine politische Geste die sagt: Wir dulden euch, aber bitte leise.
Es ist eine politische Geste, eine, die sagt: Wir dulden euch aber bitte leise.
Das macht entsetzlich traurig und wütend. Statt sachlich und weltoffen zu sein, ist unser Kanzler patzig, frech und rücksichtslos. Nichts anderes ist es, wenn er sagt: Der Bundestag sei kein Zirkuszelt. Er verhält sich, als würde ein Stück Stoff ihre Ordnung zerstören. Was für eine Ordnung kann das sein?
Ein Zirkus ist historisch ein Ort der Abweichung von Normen – ein Zuhause für Außenseiter:innen, Künstler:innen, Menschen, die anders leben, anders lieben, anders sprechen. Zirkus. Und braucht Demokratie nicht genau das? Eine Bühne für Vielfalt. Ein bisschen Fantasie. Und ja, auch ein bisschen Störung der Ordnung.
Dabei geht es nicht um Flaggen oder Neutralität, es geht um das Unbehagen davor, dass es Menschen gibt, die anders leben und trotzdem dazugehören. Die das System hinterfragen um in Freiheit zu leben. Und vielleicht fürchten sie das am meisten:
Dass das Andere nicht nur aushaltbar ist, sondern sogar schön.
Und dass es bleiben wird,
ob man es duldet oder nicht.
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Danke für deinen Beitrag.
Man konnte ja auch sehen dass es dieses Jahr nicht mal mehr opportunistische Unterstützung von Firmen etc. gab. An vielen Stellen nicht einmal mehr geheuchelte Solidarität.
Ich habe mir das „Buch“ von Manuel Ostermann durchgelesen, dort wurde scharf kritisiert das man diese „Clownsflagge“ (kein Zitat aber sinngemäß) vom Staat in der Vergangenheit gezeigt wurde, während die Polizei nicht überall mit der Deutschlandfahne wedeln darf.
Bei Menschen wie Merz könnte ich mir vorstellen diese und ähnliche Kritik als valide/angemessen angesehen wird und es so zu der Entscheidung kam.
Es ist ein Kanzler der Starken und Millionär.
Er greift gezielt Minderheiten an provoziert sprachlich bewusst im Rahmen des Möglichen, spaltet statt zu einen.
Er ermutigt zu patriarchaler Gewalt, heitzt ein ohne direkt aufzufordern, macht Stimmung statt jungen Männern echte Orientierung über funktionale, stabile und sachlich fundierte Politik zu bieten.