Investiere in dich selbst - Teil I
Von der vielleicht wichtigsten Entscheidung in meinem (jungen) Leben
Nichts verschwindet
Aus deinem Leben
Indem du es ignorierst
Außer du selbst
Max Richard Leßmann
Wenn du hier schon ein wenig länger mitliest, dann ist dir nicht entgangen, dass es einige große Umbrüche in meiner Jugend gab. Was passierte, darüber werde ich noch schreiben, für jetzt ist entscheidend, dass es mich derart aus der Bahn warf, dass ich mich als Siebzehnjährige zu einem Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik entschied. Heute ist es zwanzig Jahre her, vielleicht denke ich deshalb gerade daran, aber sicherlich auch, weil es eine der wichtigsten Entscheidungen in meinem Leben war. Zum ersten Mal zog ich die Notbremse, ließ den Alltag, der mich maßlos überforderte und gleichzeitig so unfassbar sinnlos erschien, hinter mir und verbrachte acht Wochen in einem kleinen, verwunschenen Anbau hinter dem Hauptgebäude eines Krankenhauses in Köln.
Die Tage begannen mit einem gemeinsamen Frühstück mit anderen jungen Menschen, die ebenfalls von der Welt enttäuscht oder vom Leben überfordert waren. Jede:r hatte seine eigene Geschichte und uns alle verband der Wunsch danach, etwas anderes zu Fühlen, als das, was wir fühlten. Es gab Tränen, Streit, Langeweile und Lachen. Der häufigste Gegner im Raum war wie in der realen Welt auch dort der Widerstand: Wie sehr wir uns doch wünschten es gäbe eine einfache Lösung, wir könnten uns den Kampf ersparen, es käme nur auf eine andere Perspektive an. Aber nein, Gruppensitzungen und Einzelgespräche waren unser Einstieg in einen langen Prozess, der für die meisten andauert. Auf eine seltsame Art genoss ich es dort zu sein, mit all diesen anderen Suchenden.
Es war ein verborgenes Ringen, unbeachtet von der Welt, und trotzdem: Es war der Beginn von allem.
Draußen in der Wirklichkeit häuften sich während dieser Wochen die Versäumnisse und in der Schule gingen einige Klausuren, versetzungsrelevant und unerbittlich, an mir vorbei. Ich hatte erwartet, dass es Nachschreibetermine geben würde – wer bietet so etwas nicht an? Doch meine Direktorin sah das anders. Das Halbjahr war vorbei, sagte sie, die Chance vertan. Sechsen eintragen? Undenkbar, und so blieben die Arbeiten ungeschrieben, unbenotet. Kein Versuch, keine Note, keine Versetzung. Ich kann nicht sagen, ob ich jemals wieder ein solches Gefühl des Verlassenwerdens erlebt habe.
Eine andere Schule fiel mir ein, irgendwo in Köln und griff zum Telefon. Der Direktor sagte, ich solle sofort kommen, das ließe sich regeln. Hoffnungsvoll sprang ich auf mein Fahrrad, zwanzig Minuten später war ich dort, mit wild klopfendem Herzen stand ich vor seinem Büro. Er bat mich hinein, ich erzählte meine Geschichte und er schimpfte auf meine Direktorin. Wenige Wochen später wechselte ich die Schule, doch das Halbjahr war verstrichen. Also wiederholte ich das Jahr, ein weiteres, überflüssiges Jahr – eine Endlosschleife wie ein Abend in zu engen Schuhen, aus dem man sich nicht befreien kann, egal wie sehr man es möchte.
Die Themen in den Klassenzimmern verschwammen zu einer leeren Kulisse, fern von dem, was mich wirklich beschäftigte, was mir nachts den Schlaf raubte. Ich verbrachte meine Nächte lieber auf den Tanzflächen der Stadt, verlor mich im Takt der Musik, im Dämmerlicht der Clubs, manchmal direkt von dort in die Schule, ohne Schlaf, ein Versuch, dem Ganzen doch noch irgendwie zu entkommen.
Als ich dann endlich mein Abitur bestand, war ich fest entschlossen alles zu tun, nur nicht wieder still an Tischen zu sitzen, zu nicken, zu lesen oder über Belangloses zu sprechen. Ich wollte etwas mit den Händen machen, etwas erschaffen, das ich selbst bewerten könnte, vielleicht sogar schön finden würde. Also wählte ich eine Ausbildung zur Bekleidungstechnischen Assistentin. Der Bewerbungszeitraum war längst vorbei, so jobbte ich bis zum Beginn der Ausbildung in einem Café und einer kleinen Boutique auf der Engelbertstraße. Ich fieberte der Ausbildung entgegen – und doch: Als es losging, merkte ich wie schwer es mir fiel mich wieder in Strukturen einzuordnen. Schon das Pünktlichsein um acht Uhr war ein Hindernis. Die Wochenenden verbrachte ich in Clubs tanzend und unter der Woche lag ich mit Freund:innen und Wein auf dem Holzfußboden meiner Wohnung auf der Severinstraße, diskutierte, spinnte Ideen. Es verging ein ganzes Jahr, bis ich mich dazu durchringen konnte wieder zu Lernen, in den Kopf zu hämmern, was ich weder verstehen noch fühlen konnte. Kalt und fremd kam mir das alles vor, ohne einen Hauch von Wahrheit. Doch ich brachte mir Disziplin bei, zwang mich weiterzumachen. Rückblickend würde ich sagen: Mich hat der Ehrgeiz gepackt! Studium in Hamburg und Kleiderei-Gründung, Insolvenz und Selbstständigkeit als Unternehmensberaterin und ein weiteres Studium in Köln. Aber dazu schreibe ich nächste Woche mehr.
Es mag abgedroschen klingen, aber Investiere in dich selbst bedeutet eben auch, Zeit, Energie und Ressourcen in die Dinge zu stecken, die sich echt anfühlen. Dazu entscheiden wir uns aktiv, denn Wandlung ist Handlung.
Es kostete mich Mut und am Ende ein ganzes Schuljahr, aber bis heute, wenn ich auf diese Zeit zurückschaue, sehe ich ein verletztes aber selbstbestimmtes siebzehnjähriges Mädchen vor mir, das versucht, seinem eigenen Leben wieder nahe zu kommen. Ich wusste nicht, wie man ein Leben führt, nicht wirklich – das tut man mit siebzehn wohl selten –, aber ich spürte, dass das was ich erlebte zu wenig war, dass ich mehr wollte.
Dass wir uns einen Alltag schulden, in dem wir unser Selbst spüren.